Mordreds Tales
© 2010 – 2024 Marcel Wolters







 

Offene Rechnungen

Die Sonne brannte unbarmherzig. Ein leichter Windhauch bewegte die Zweige des Baumes vor dem Haus. Abkühlung brachte er nicht. Dunkle Wolken am Horizont suggerierten ein Ende der inzwischen drei Wochen anhaltenden Trockenheit. Die drei Streifenwagen des Sheriffs Departements von Lincoln-County zogen Staubfahnen hinter sich her. Max Carlisle gefiel überhaupt nicht, was er als Nächstes zu tun hatte. Aber er war der verdammte Sheriff. Und das hier war sein verdammter Job. Max nahm den Fuß vom Gas in der Hoffnung, das Unvermeidliche hinauszögern zu können, und ließ die Ereignisse der vergangenen Woche Revue passieren …



***


Sehr geehrte Mrs. Hamilton,

unser Mandant beauftragte uns, Ihnen ein letztes Angebot bezüglich des Verkaufs Ihrer Ranch zu unterbreiten. In Anbetracht der Situation ist Mr. Dolan nunmehr bereit, Ihnen $ 1.100.000 zu zahlen, wenn Sie Ihre Ranch bis Freitag, den 13. Mai 2011 an ihn überschreiben.

Unser Mandant beauftragte uns auch, Sie darauf hinzuweisen, dass dies das unwiderruflich letzte Angebot ist. Sollten Sie dieses Angebot erneut ausschlagen, lehnt unser Mandant jede Verantwortung ab. Wir erlauben uns, Sie in Hinblick auf die wirtschaftliche Situation Ihrer Ranch darauf aufmerksam zu machen, dass Mr. Dolans Angebot die Übernahme Ihrer Verbindlichkeiten beinhaltet.

Bitte bedenken Sie, wenn Sie uns eine private Bemerkung erlauben, dass dieses äußerst großzügige Angebot Ihre wohl letzte Chance ist, Mrs. Hamilton, in ein geregeltes Leben zurückzukehren und die Schulden, die auf Ihrer Ranch liegen, loszuwerden.

Hochachtungsvoll

Mannigan

Rechtsanwalt




Kate faltete den Brief zusammen. Seit sie vor einem Jahr nach New Mexico kam, versuchte Francis Dolan, an ihre Ranch zu kommen. Dolan war der größte Viehzüchter in der Gegend. Auch ohne Kates Land und ihre Rinder. Gerüchten zufolge ging es bei Dolans „Akquisen” nicht immer legal zu. Kate gab nie viel auf Gerüchte aber sie war in Dolans Fall geneigt, den Gerüchten Glauben zu schenken. Der Brief dieses Anwaltes sprach für die Gerüchte. Kate fand, dass Mr. Mannigan eine gewisse Ähnlichkeit mit Küchenschaben hatte. Nur hatten die Schaben ein besseres Benehmen. Und sie sahen niedlicher aus. Bei näherer Betrachtung war die Ähnlichkeit wohl doch nicht so groß. Und der Vergleich war den Insekten gegenüber doch etwas unfair.

Kate warf einen Blick auf den Küchentisch. Rechnungen, noch mehr Rechnungen. „Oh! Eine Mah-nung!”, murmelte Kate. „Ist mal was Neues.” Rechnungen und Anwaltsschreiben bestimmten seit Monaten den Inhalt ihres Briefkastens. Es gab noch drei Weihnachtskarten aus England, ein paar Geburtstagsgrüße und eine Einladung ihres Bruders, ihn doch im Sommer in seinem Landhaus in Schottland zu besuchen. Mehr postalische Abwechslung gab es nicht. Kate sank erschöpft auf den Küchenstuhl. Bisher hatte die Ranch nicht einen Penny abgeworfen. Es war nicht so, dass Kate auf diese Einnahmen angewiesen war, aber es machte keinen Spaß, immer nur Geld auszugeben und nichts wieder in die Taschen zu kriegen. Wenn sich das nicht änderte, würde sie das Geschäft wohl demnächst aufgeben. Vielleicht könnte man einen Golfplatz auf dem Land betreiben. Ein Platz für jedermann und ein höchst exklusiver Klub. Ein Klub, zu dem Mr. Dolan wohl keinen Zutritt hätte. Er dürfte vom Zaun aus zusehen, wie Kate und der Rest der Welt spielten. Was auch immer Kate aus der Ranch machen würde, Francis Dolan würde das Land, das Ururgroßonkel hier in New Mexico erworben hatte nicht bekommen. Die Ranch war seit über 130 Jahre in Familienbesitz und Kate würde nicht zulassen, dass sich daran etwas ändert. Aber zuerst musste sie der Telefongesellschaft die Mahnung um die Ohren hauen. Kate hatte noch nie eine Rechnung nicht bezahlt.

Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihre Gedanken. Kates mexikanischer Vorarbeiter Miguel steckte den Kopf in die Küche und informierte Kate: „Die Rinder sind versorgt, Ma’am. Wenn es sonst nichts mehr für uns zu tun gibt …” Kate mochte Miguels Akzent. Es war nur ein leichter Akzent aber er war hörbar. Miguel hatte keinen typisch mexikanischen Akzent, auch wenn er offensichtlich Mexikaner war. Sie lächelte. „Gehen Sie nach Hause, Miguel. Wir sehen uns dann morgen früh.” Der Mexikaner nickte, tippte noch einmal grüßend an seinen Hut und verschwand. Kate hingegen sank seufzend gegen die Stuhllehne, klappte ihren Laptop auf und machte sich daran, die Rechnungen zu bezahlen.



Die untergehende Sonne spiegelte sich rot in der Windschutzscheibe seines Pick-ups, als Miguel Chavez vor dem „Jack of Spades” parkte. Ein kühles Bier und ein Burger waren nach einem Tag im Staub der Weiden willkommen. Seit zwei Wochen war nicht ein Tropfen Regen gefallen. Die anhaltende Trockenheit war überall sichtbar. Die Felle der Rinder waren staubig, Miguels Sachen waren staubig und sein Wagen auch. Die 47er Indian Chief, die er auf dem Weg zur Tür aus den Augenwinkeln sah, war auch nicht sauberer.

Lynyrd Skynyrd schallte Miguel entgegen, als er den Gastraum betrat. „Sweet Home Alabama” in einer Kneipe in New Mexico zu hören, war seine neue Definition von paradox. Andererseits mochte er das Lied. Guter alter handgemachter Rock. Sue, die Barkeeperin, hielt fragend ein leeres Glas in die Höhe. Miguel nickte und setzte sich an einen freien Tisch. Nur eine Minute später standen ein kühles Bier und ein extragroßer Burger vor ihm.

Während des Essens sah Miguel sich um. Sein Blick fiel auf vier Männer, die zwei Tische weiter Poker spielten. Drei von ihnen erkannte Miguel als Dolans Männer. Den Vierten, ein junger Mann Anfang 20, kannte er nicht. Der Junge sollte aber besser aufhören, zu spielen, bevor ihn Dolans Männer völlig ausnahmen. „Hey Amigo!”, rief der junge Mann fröhlich winkend. „Wie wär’s? Wollen Sie mitspielen?” Miguel dachte kurz nach und nickte. „Einverstanden.” SO gute Spieler waren Dolans Männer auch nicht. Vielleicht konnte er den Schaden in der Brieftasche des Jungen begrenzen.

Zwei Stunden später hatte sich das Blatt zugunsten des Jungen gewendet. Er hatte insgesamt sogar einen ordentlichen Gewinn eingestrichen. Miguel stand auf. „War nett, mit Euch zu spielen, Jungs”, sagte er und wandte sich zum Gehen. „Und Du”, fügte er an den Jungen gerichtet hinzu, „Solltest vielleicht auch für heute aufhören.” Miguel war nur drei Schritte weit gekommen, als ihn eine Hand von hinten festhielt. „Du wirst uns doch die Gelegenheit bieten, unser Geld zurückzugewinnen?”, meinte einer von Dolans Männern. Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Miguel schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, muss morgen zeitig raus. Ein anderes Mal vielleicht.”

„Falsche Antwort!” Eine Faust traf Miguels Kinn, sodass er nach hinten taumelte. Dolans Männer bauten sich um ihn herum auf. „Du bist Joshua Allen, richtig?” Miguel richtete seinen Blick auf den mittleren der drei Männer. „Richtig!” Ein weiterer Hieb ließ Miguel nach draußen taumeln. „Und jetzt wollen wir unsere Kohle zurückhaben, Du dreckiger Mexikaner!” Miguel stand auf und fixierte Joshua Allen kampfbereit. „Mexikanischer Indianer, Arschloch!” Ein rechter Haken gegen Josh sowie eine Linke und eine Rechte gegen die anderen beiden sollten das Problem lösen, wenn es darauf ankäme. Wenn Josh Allen nicht plötzlich ein Messer in der Hand gehabt hätte. „Ist mir doch scheißegal!”, brüllte Miguels Gegner. „Du bist gleich tot!”

Eine Hand umklammerte Joshuas Arm wie ein Schraubstock, bevor er auf Miguel losgehen konnte. Er versuchte, sich zu wehren, ließ aber nach einigen Sekunden mit schmerzverzerrtem Gesicht das Messer fallen. „Ihr solltet besser gehen”, sagte der junge Mann ruhig und blickte dabei nach unten. Joshuas Kumpan zur Rechten machte einen Schritt auf den Jungen zu und fiel im nächsten Augenblick vornüber, nachdem ihn ein Cowboystiefel in den Magen getroffen hatte. Der Junge sah Josh und den Dritten an. Er ließ Joshua los. Die zwei Schläger starrten ihn an. „Buh!”, rief der Junge und zuckte kurz. Dolans Männer rannten.

Miguel sah den Jungen an. „Danke”, meinte er knapp und fügte nach einem Augenblick hinzu: „Wieso habe ich das Gefühl, dass Dolans Jungs heute Abend zum Verlieren verdammt waren?” „Weil es so war”, grinste der Junge. „Ich wusste, es würde mir Glück bringen, wenn Sie mitspielen.” Miguel hob die Augenbrauen. Es stimmte. Seit er an den Spieltisch kam, fingen Dolans Leute an, zu verlieren. Er fand es trotzdem seltsam. „Mexikanischer Indianer?”, fragte der Junge in die Stille. „Ich bin zur Hälfte Diné”, antwortete Miguel und reichte dem Jungen die Hand. „Miguel Chavez. Und wie heißt Du, Junge?” Der Junge zögerte kurz. „Mein Urururgroßvater soll mit einem Jose Chavez geritten sein. Ein Verwandter von Ihnen?” Der mexikanische Indianer nickte. „Mein Urururgroßvater. Ein Ur mehr oder weniger. Keine Ahnung.” Er wartete einen Augenblick und fragte dann erneut: „Wie heißt Du?” Wieder herrschte Stille. In der Ferne heulte leise ein Kojote. Die Grillen zirpten. Man meinte, jeden Augenblick müsste Charles Bronson mit einer Mundharmonika um die Ecke kommen. „William”, antwortet der Junge schließlich, „William Bold. Ich würde gerne noch etwas plaudern, Mr. Chavez. Aber ich muss weiter.” William ging zu der staubigen 47er Indian, die Miguel aufgefallen war. Er startete den Motor, winkte noch einmal und fuhr davon, bevor Miguel noch etwas sagen konnte. Etwas war seltsam an William Bold, dachte Miguel. Er wusste nicht, was es war, aber etwas war seltsam. Und er mochte den Jungen.



***


„Ich schätze, der Sheriff ist in Kürze hier.” Miguel sah seine Chefin an. Kate nickte. „Ich werde diese Ranch Francis Dolan nicht übergeben. Egal, was er in der Hand hat, ich werde sie ihm nicht überge-ben.” Miguel warf einen kontrollierenden Blick auf seine alte Winchester. Solange Miguel Chavez lebte, würde niemand Hand an seine Chefin legen. Er wollte niemandem wehtun. Vor allem dem Sheriff nicht. Max Carlisle war ein anständiger Kerl. Aber Miguel konnte ihm Kate nicht einfach überlassen. Er hoffte inständig, dass der Junge rechtzeitig zurückkam und die Beweise mitbrachte, von denen er gesprochen hatte. Aber nur zur Sicherheit würde Miguel Chavez dafür sorgen, dass Will noch etwas Zeit hatte.



***


Francis Dolan war wütend. „Was soll das heißen? Ihr seid vor einem Jungen abgehauen? Vor einem Jungen und einer verdammten mexikanischen Rothaut?” Josh Allen, sein Bruder Hank und John Hauser, die Nr. 2 unter Dolans Leute hinter Josh, blickten betreten zu Boden. „Hank wollte sich den Jungen schnappen aber der hat schneller zugetreten als man Bruce Lee”, murmelte John. Dolan war nicht besänftigt. Er konnte es nicht durchgehen lassen, dass seine Männer vor einem Bengel abhauen. Nicht jetzt. Er wollte die Ranch der Engländerin haben, war nicht bereit, zuzusehen, wie so eine reiche englische Tussi mit ihrem Geld umher schmeißt und ihm das Geschäft versaut. „Nehmt Euch diesen Chavez zur Brust! Ohne Vorarbeiter dürfte es dieser Lady schwerer fallen, irgendwas zustande zu bringen.” Dolan zündete sich eine Zigarre an. „Was steht Ihr hier noch rum?”, blaffte er. „Und legt diesen verdammten Bengel gleich mit um, wenn er bei der Hamilton ist.”



Kate stieg aus ihrem Jeep. Miguel hatte sie gebeten, auf die Weide zu kommen. „Was ist los, Mi-guel?”, fragte sie den offenbar sehr aufgebrachten Vorarbeiter. Miguel zeigt ein paar Yards weiter auf den Boden. Kate verstand nicht. „Dort sind Reifenspuren. LKW-Reifen”, erklärte der Indianer. „Und es fehlen Rinder. Fünf von den Rindern, denen wir heute ein Brandzeichen geben wollten.” Der ausgetrocknete Boden machte es schwer, etwas zu erkennen. Kate sah genauer hin und entdeckte die Spuren jetzt auch. „Den Spuren nach zu urteilen, kamen sie gestern Abend gegen zehn Uhr”, sinnierte Miguel. „Fast, als sollte mich die Schlägerei in der Bar von hier fernhalten.” Kate sah jetzt auch, dass die Lippen ihres Vorarbeiters etwas geschwollen waren. „Geht es Ihnen gut?” Die Besorgnis in Kates Stimme war nicht nur überhören. „Kein Problem, Ma’am. Sie wissen, wo ich gedient habe. Außerdem kam mir ein junger Mann zu Hilfe. Ist alles in Ordnung.”

Das Geräusch eines Motors erregte die Aufmerksamkeit Miguels und seiner Arbeitgeberin. Zwei Geländewagen näherten sich ihnen. „Morgen, Mrs. Hamilton!”, grüßte Joshua Allen grinsend. „Guten Morgen, Mr. Allen”, gab Kate zurück. „Wie kann ich Ihnen helfen?” Joshua und die anderen stiegen aus den Wagen und gingen auf Kate und Miguel zu. „Wir wollen nur Mr. Chavez sprechen. Er schuldet uns Geld.”

Miguel trat ungeduldig einen Schritt nach vorne. Kate hielt ihn schnell zurück. Sie hatte die Beulen in den Mänteln von Dolans Leuten bemerkt. „Was schuldet Ihnen mein Angestellter?”, fragte sie Joshua kühl. „Und warum sollte er sich bei Ihnen Geld leihen?” Die Männer grinsten. Offenbar war die Chefin schlauer als der Vorarbeiter. Sie verteilten sich. Joshua trat auf Kate zu. „Er hat beim Pokern betrogen”, sagte er mit gesenkter, drohender Stimme. „Wir mögen keine Betrüger. Und wir mögen keine Engländer.” Josh Allen verlagerte seine Drohung eindeutig auf die Frau. „Also …” Ein Knacken unterbrach ihn gefolgt von einer jugendlichen Stimme: „Juhu! Ich mache Dich berühmt!”

Miguel hätte geschworen, dass der junge William bis eben nicht da gestanden hatte. Trotzdem war er da und zielte aus der Hüfte mit einem antik anmutenden Revolver auf Dolans Männer. Hank Allen und John Hauser wollten unter ihre Mäntel greifen. „Ihr seid fünf Männer und ich habe sechs Kugeln im Revolver. Ich kann einen von Euch zweimal erschießen.” William grinste vergnügt. Dolans Männer waren unschlüssig, was sie von dem Jungen halten sollten. War er so gut, wie er tat? Niemand ist so gut. Oder doch? In jedem Fall wusste niemand genau, ob es ihn erwischte oder nicht. Diese Drohung war schon ernst genug. Joshuas Blick hing an Williams Waffe. Er lachte leise und zog mit der Linken seinen Mantel beiseite. „Ach und bevor ihr fragt, Jungs”, bemerkte der Junge, „diese Kanone funktioniert.” Ein Knall, schnell gefolgt vom Klicken des Hahns untermalte die Behauptung jung Williams eindrucksvoll. Joshua zog den Fuß weg. „Macht Euch vom Acker, Jungs!”, riet der Junge Dolans Schlägern. Der Windhauch, der bis eben noch wehte, verebbte. Die erdrückende Stille wurde nur von einer einsamen Klapperschlange durchbrochen, die sich raschelnd durch das Gras bewegte. Die Schlange hielt einen Moment inne und rasselte warnend, als Hank Allen nervös einen Schritt machte, und beeilte sich dann, zwischen den Männern zu verschwinden. „Du bluffst doch nur!”, rief Josh in dem Versuch, einen Hauch von Unsicherheit bei dem Jungen zu säen. „Du erschießt doch keinen von uns!” Williams Miene veränderte sich nicht, als er den Arm ausstreckte und direkt auf den Kopf des Anführers des Schlägertrupps zielte. „Ich habe sicherlich gestern beim Pokern geblufft”, gab er ruhig zurück, „würde mich aber an Deiner Stelle nicht darauf verlassen, dass ich es jetzt tue.” William trat einen halben Schritt auch Joshua zu. Nicht zu weit. Gerade weit genug, um seine Drohung zu untermauern. „Und jetzt, Arschloch, entschuldigst Du Dich bei Mr. Chavez dafür, dass Du ihn einen Betrüger genannt hast, nimmst Deine Speichellecker und verschwindest!” Joshua sah den jungen Mann noch eine Sekunde lang an. Dann war er endlich vom Ernst seiner Lage überzeugt. „Los, wir verschwinden!”, rief er seinen Männern zu und stieg in seinen Wagen.

„Hast mir das zweite Mal den Hintern gerettet”, lächelte Miguel, als Francis Dolan Männer ver-schwunden waren. Der Junge grinste. „Ich denke”, antwortet William, „Sie wären auch so klarge-kommen. Trotzdem: keine Ursache.” Williams Blicke wanderten über die Rinderherde. „Schöne Tiere, Sir”, nickte er beeindruckt. „Sie gehören Mrs. Hamilton”, informierte Miguel den Jungen. Der blickte zu der Frau, die die ganze Zeit da gestanden und kein Wort gesagt hatte. Eine hübsche Lady. Dem Aussehen nach um die 10 Jahre älter als William selbst, aber das tat keinen Abbruch. Einerseits hatte William durchaus Erfahrungen mit Frauen gesammelt, die älter waren als, andererseits hatte er nicht vor, mit ihr anzubandeln. Nein, er hatte vollkommen andere Pläne mit ihr. „Hätten Sie 'nen Job für mich Ma’am?” Kate sah den Jungen verunsichert an. „Ich erwarte kein Millionengehalt, Ma’am”, fuhr William fort, als er ihre Unsicherheit bemerkte. „Was zu essen und ein Dach überm Kopf würden reichen. Sehen Sie, eigentlich wollte ich in Richtung Texas weiter aber irgendwie dachte ich, ich sollte Mr. Chavez helfen. Schließlich hat er gestern den Inhalt meiner Brieftasche gerettet und dafür Ärger bekommen. Es wäre nur recht, wenn ich dafür auf ihn aufpassen würde. Und da dachte ich, ich kann ihm – oder Ihnen, Ma’am – auch zur Hand gehen.” Kate überlegte kurz. Etwas war seltsam an dem Jungen. Andererseits war der Krankenstand unter ihren Leuten in letzter Zeit recht hoch. Und es war keine Grippe. Es waren verschiedenste Unfälle und andere Verletzungen verursachende Vorfälle. Verpflegung und Unterkunft waren ein gutes Angebot. Vielleicht konnte sie den Jungen auch überreden zu kochen. Sie hoffte es um seinetwillen, denn sie vermutete, dass der Junge genießbares Essen wollte. So kam es dann also, dass sich eine englische Rancherin in New Mexico einem jungen Mann namens William Bold als Katelynn Hamilton, seine neue Arbeitgeberin vorstellte, während etwa eine halbe Stunde später der reichste Viehzüchter in Lincoln County, Francis Dolan, einen Tobsuchtsanfall bekam, seine Männer als unfähige Bastarde beschimpfte und wütend aus seinem Büro warf.



Kate hatte Glück. Der junge William – Will, wie er genannt werden wollte, weshalb sie ihn bat, sie Kate zu nennen – ließ sich leicht dazu überreden, das Kochen zu übernehmen. Es gab zwar nur Spa-ghetti, aber die waren Lichtjahre von dem entfernt, was sie selbst hätte kochen können. Zu allem Überfluss übernahm er auch den Abwasch. Eigentlich, dachte Kate, müsste sie Will einen Heiratsan-trag machen. Aber irgendwie machte der Junge nicht den Eindruck, an einer Hochzeit interessiert zu sein. „Wo kommst Du eigentlich her, Will?”, erkundigte sich Kate ein kleines bisschen neugierig. Will sah vom Abwaschbecken auf. Kate missverstand sein Zögern. „Wenn Du nicht darüber reden willst …”, begann sie entschuldigend, aber William unterbrach sie: „Nein, nein! Es ist nur so, dass sich noch nie jemand dafür interessiert hat.” Er gab Kate den frisch abgewaschenen Teller, den er in der Hand hielt, damit sie ihn abtrockne. „Ich stamme aus New York. Aber unsere Mutter zog mit uns nach Kansas, als ich neun war.” Kate stellte den trockenen Teller weg. „Uns?” Will schrubbte eine Weile still vor sich hin. Der Topf war eigentlich schon sauber, aber er scheuerte ihn weiter. Kate glaubte etwas wie Unbehagen in dem Jungen zu erkennen und beschloss, das Thema nicht weiter zu verfolgen. „Mein älterer Bruder Joe”, sagte Will dann. „Er zog irgendwann aus. Keine Ahnung, was aus ihm geworden ist. Ich selbst bin mit sechzehn abgehauen. Hab jemanden bei einer Schlägerei schwer verletzt. Ich hatte keine Wahl, es war Notwehr. Aber seine Kumpels haben Jagd auf mich gemacht. Also bin ich lieber verschwunden.” Will legte die Bürste beiseite, gab Kate den Topf zum Abtrocknen und ließ das Wasser aus dem Abwaschbecken. „Ist alles 'ne Weile her”, sagte er leise und ging vor die Tür.

Kate folgte Will nach ein paar Minuten. Er saß auf der Treppe des alten Hauses und kaute auf einem Grashalm. Die Engländerin setzte sich neben ihn und schwieg. „Sie wollen wissen, warum ich wirklich hier bin, habe ich recht?”, fragt der Junge schließlich. Kate nickte. „Es geht um Dolan”, erklärte William. Vier Worte, die Kate hellhörig werden ließen. Sollte sie unversehens einen Verbündeten gefunden haben? Sie hoffte allerdings, dass es nicht Williams Absicht war, Dolan zu töten. Seine Augen glitzerten unheilschwanger, als er Dolan erwähnt. Kate hielt es für besser, nachzuhaken. „Was ist mit Dolan?” Will schwieg wieder einen Augenblick. „Dolan”, fuhr er dann fort, „ist ein Schwein. Wie sein Vater, sein Großvater, sein Urgroßvater … Sie haben sich alle an anderen bereichert. Skrupellos. Auch an jemandem, der mir nahestand. Ich bin nach Lincoln gekommen, um Francis Dolan fertigzumachen. Um ihm all das zu nehmen, was er sich unrechtmäßig unter den Nagel gerissen hat.”



***


Sheriff Max Carlisle und seine Deputies waren noch eine knappe Viertelstunde von Kate Hamiltons Ranch entfernt. Er mochte die junge Engländerin. Dennoch hatte er einen Haftbefehl gegen sie und musste ihn durchsetzen. Es ging nicht darum, was ihm gefiel. Wäre es so, hätte er Kate einen Orden verliehen. Aber Joshua Allen war tot und Kate war bei seiner Leiche gesehen worden. Jemand hatte Max‘ Büro Fotos von Kate zukommen gelassen, die sie bei dem Toten zeigten.



***


Kate saß wie jedem Morgen mit Miguel, Will und den anderen Männern, die noch bei ihr geblieben waren, am Küchentisch und besprach bei einer Tasse Kaffee den Tag. Die Rinder mussten von der Westweide auf die Ostweide getrieben werden, abgesehen von den Tieren, die noch nicht markiert waren. Miguel und Will übernahmen die Aufgabe, den Tieren das Brandzeichen zu verpassen. Die Männer standen gerade auf, als von der Tür der satte Sound eines Big Blocks zu hören war. Miguel öffnete die Tür, um nach draußen zu gehen, bekam aber erst einmal eine Faust ins Gesicht. „Aua!” Kates Vorarbeiter wich einen Schritt zurück und sah den Sheriff an, der just in dem Moment anklopfte, als Miguel die Tür öffnete und deshalb das Gesicht des mexikanischen Indianers erwischte. „Sorry!”, entschuldigte sich der Gesetzeshüter. Miguel rieb sich die Stirn und grinste. „Polizeibrutalität!”, rief er scherzend. Auf der anderen Seite wunderte er sich, was der Sheriff so früh am Morgen auf der Ranch wollte.

Max Carlisle kam gleich zur Sache. „Tut mir leid, Sie so früh zu belästigen, Kate”, brummte er und nahm seinen Hut ab. „Ich habe gehört, es gibt ein paar Probleme mit Rinderdieben.” Kate war er-staunt. Bei allem, was am Vortag los war – der Besuch von Dolans Männern, die Arbeit auf der Ranch, der Abend mit Will, der ihr genug aus seinem Leben erzählt hatte, um ein Buch damit zu füllen – hatte sie den Diebstahl ihrer Rinder noch gar nicht angezeigt. Woher also konnte Max das wissen? Sie sah Miguel, Will und Jacob Turner, den zweiten Mann nach Miguel auf der Ranch an. Alle drei zuckten mit der Schulter. Kate sah weiter in die Runde. Unwissendes Kopfschütteln war die Antwort. Kate drehte sich zum Sheriff zurück. Dieser fuhr fort: „Mr. Dolan hat uns gemeldet, dass ihm fünf Rinder fehlen. Er meinte, wir sollten uns bei Ihnen umsehen. Scheint fest davon überzeugt zu sein, dass nur Sie oder Ihre Männer die Rinder gestohlen haben können.” Kate riss die Augen auf. Eigentlich hätte sie mit so etwas rechnen müssen. Für einen Augenblick dachte Kate, sie sei viel zu naiv, um eine Ranch zu führen, wenn sie nicht in der Lage war, solche Ränke vorauszusehen. Sie glaubte wohl noch zu sehr daran, dass alle Männer Gentlemen waren, die immer fair kämpften. Dabei war nicht einmal ihr eigener Cousin Mortimer fair genug gewesen, um sich mit ihr über das Erbe ihres gemeinsamen Onkels ohne Streit zu einigen. Morti war der Auffassung gewesen, Kate stünde nichts von Stephen Nichols Besitz zu, da Onkel Stephen genauso wie Mortimer zu dem Teil ihrer altehrwürdigen Familie gehörte, der sich damals nach Amerika aufgemacht hatte, während Kates Seite im ruhigen England geblieben war, um ihre Reichtümer dort zu vermehren. Familiengeschichte kann ja so kompliziert sein. Ein Mann erbt eine Ranch von seinem Vetter und über viele Generationen hinweg landet diese Ranch schließlich bei einer Frau aus England, die extra in „die Kolonien” zieht, um die Ranch zu bewirtschaften und sie um jeden Preis im Familienbesitz zu halten. Mortimer hätte das Land längst verkauft. Er hatte einfach keinen Sinn für Tradition.

Noch bevor Kate ihre Gedanken zu Ende geführt hatte, ergriff ihr Vormann das Wort. „Dolan lügt. Niemand, der auf dieser Ranch arbeitet, stiehlt Rinder. Schon gar nicht bei diesem Schwein Dolan.” Der Sheriff nickte. „Hätte ich auch nicht gedacht, Sir. Aber ich muss natürlich nachsehen.” Das Lä-cheln, das Max‘ Mund umspielte, war schon fast verschwörerisch. Dolan hatte also den Diebstahl von Rindern gemeldet, Max hatte sich auf Kates Land umgesehen und nichts gefunden. Kate wollte aber, dass der Fall für Sheriff Carlisle wasserdicht ist. Sie ging nach nebenan und kam einen Augenblick später mit einem Aktenordner wieder. „Wenn Sie einen Augenblick Zeit haben, Max, können Sie sich gerne davon überzeugen, dass in meiner Herde kein Stück Vieh ist, das Sie nicht in diesen Unterlagen finden können.” Und tatsächlich fand Max jedes einzelne Tier auf den Weiden der Hamilton Ranch in den Papieren wieder. Und Kate fand zu ihrem Erstaunen jedes einzelne Tier, das in ihren Unterlagen verzeichnet war auf ihrer Weide – einschließlich der fünf Tiere, die am vergangenen Morgen fehlten. Die Männer spekulierten darüber, wo die Rinder gewesen sein könnten. Chavez sah sich in der Gegend um. William hielt sich aus den Dingen raus.



Francis Dolan war nicht sehr zufrieden mit den Ermittlungsergebnissen des Sheriffs auf der Ranch dieser verfluchten Engländerin. Er hatte ihr zwei Abende zuvor von seinen Männern fünf Rinder stehlen lassen. Genau diese fünf Rinder fehlten jetzt, während die Herde der Hamilton vollzählig war. Irgendwie mussten sie auf ihre Ranch gekommen sein. Aber er konnte dem Sheriff die Geschichte natürlich nicht so erzählen. Er musste ihr irgendetwas anderes anhängen. Kate Hamilton musste aus Spiel gebracht werden, bevor am Montag die Entscheidung über die Rindfleischlieferungen für eine große Fast-Food-Kette fiel. Francis Dolan konnte Konkurrenz überhaupt nicht gebrauchen.



Miguel und Will waren mit dem branden der Rinder fertig und tankten ein wenig Sonne. „Was weißt Du eigentlich von Dolans verschwundenen Rindern?”, fragte der Mexikaner unvermittelt in die Stille. Will öffnete die Augen und sein den Vorarbeiter unschuldig an. „Was soll ich wissen?” Miguel Chavez richtete sich auf. Der Junge neben ihm sah aus wie die Unschuld selbst, als könnte er keiner Fliege etwas zuleide tun. Auf der anderen Seite hatte er vor dem „Jack of Spades” Josh Allen und seine beiden Begleiter ohne mit der Wimper zu zucken zum Teufel gejagt. Gestern auf der Weide hielt er ihnen eine Waffe entgegen und Miguel hätte geschworen, dass Will die Männer tatsächlich erschossen hätte, wenn es darauf angekommen wäre. Er ging mit den Rindern um, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan. Konnte dieser junge Mann vielleicht die Rinder, die Dolan vermisste geklaut haben? Hatten Dolans Männer Kate ihr Vieh gestohlen und Will hatte die Tiere zurückgeholt? „Uns fehlten gestern fünf Rinder”, fuhr Miguel also fort. „Sie fehlten gestern früh, als Du Dolans Jungs in die Wüste geschickt hast, und auch gestern Abend. Heute sind sie wieder da und Dolan beschwert sich, dass ihm fünf Tiere fehlen, während unsere Herde wieder vollständig ist. Ich habe nachgesehen: Es ist wirklich unser Vieh. Niemand wird uns etwas anhaben können. Ich werde Kate nichts sagen, aber ich würde gerne wissen, mit wem ich es zu tun habe.” Will grinste. Aber so jungenhaft dieses Grinsen auch wirkte, Miguel glaubte in zwei alte, zwei verdammt alte Augen zu blicken. Williams Stimme klang ein wenig müde, als er nickte und zugab: „Ich sagte Kate, ich will Dolan alles nehmen, was er sich unrechtmäßig unter den Nagel gerissen hat. Ich bin neulich Abend bei ihm vorbei gefahren. Und ich sah seine Männer, die fünf Rinder von einem Truck luden. Spät am Abend? Ist schon seltsam. Als ich gestern Morgen hier war, habe ich zwei und zwei zusammengezählt.” Eine kleine Pause entstand. Miguel nickt nur stumm. Schließlich fügte Will leise hinzu: „Es geht um Dolan. Ich würde nie etwas tun, das Kate schadet.” Will stand auf und wandte sich zum Gehen. „Das schulde ich ihr”, murmelte er nur für sich. Aber der Navajo hatte verdammt gute Ohren. Miguel stand auf und lief Will hinterher. „Warte!”, rief er. „Will! Warte einen Moment!” Der Junge blieb stehen. „Ich werfe Dir nichts vor, Will.” Der Vorarbeiter fasste William an der Schulter und drehte ihn zu sich um. Will sah ein Grinsen im Gesicht des Älteren. „Aber Du musst mir bei Gelegenheit erzählen, wie Du das gemacht hast.” Will grinste zurück. „Auf die altmodische Art.”



Es gab eine Zeit, zu der ein Mann die Dinge verhältnismäßig einfach regeln konnte. Es reichte, ein paar Männer anzuheuern und ihnen den Auftrag zu geben, dieses oder jenes Hindernis aus dem Weg zu räumen. Wenn man sich hingegen nicht zu fein war, die eigenen Hände ein wenig schmutzig zu machen, reichten hier und da zwei Dollar für eine Kugel. Früher … Ja, früher war eben alles besser und einfacher. Francis Dolan hätte in jener Zeit wohl weniger Schwierigkeiten gehabt. Viehdiebe wären erschossen oder aufgeknüpft worden und diese verdammte Engländerin stünde ihm auch längst nicht mehr im Weg. Ja, früher war alles besser. William dachte dasselbe, als er am frühen Abend an einen Baum gelehnt gedankenversunken die Trommel seines Revolvers drehte, nur damit seine Hände irgendeine Beschäftigung hatten. Wills Gedanken wanderten in die Vergangenheit. Er schloss die Augen. Er hörte einen Schuss. Er sah einen Freund fallen. Wollte er Gerechtigkeit oder wollte er Rache? Will wusste es nicht mehr genau. Alles, was er wusste, war, dass etwas unerledigt war. Es wurde Zeit, dass Dolan bezahlte. Wenn es sein musste, würde Will ihn bezahlen lassen, wie es in der alten Zeit üblich gewesen wäre. Auge für Auge, Zahn für Zahn. Er hoffte, dass es nicht so weit käme, aber wenn es sein musste … Will steckte seine Waffe wieder ein. Kate wartete sicher schon mit dem Abendessen. Er stieg auf sein Motorrad und fuhr einen letzten hasserfüllten Blick auf Dolans Haus werfend davon. Einer jener schicksalträchtigen Blicke, von denen man immer erst hinterher weiß, wie wichtig sie sind. Einer jener Blicke, mit denen man sieht, wie eine schwarze verhüllte Gestalt aus dem Haus schleicht oder eine feindliche Armee durch die Ebene marschiert. Will sah weder eine schwarze Gestalt noch eine Armee. Er sah zwei weiße Pick-ups, die Dolans Anwesen verließen. ‚Warum‘, dachte er, ‚fahren die Bösen immer Wagen in der Farbe der Unschuld?‘



Miguel Chavez saß im „Jack of Spades” und trank entspannt ein Bier. Es war verhältnismäßig leer. Ein Pärchen saß in der Nähe der Toiletten und trank Kaffee. Miguel schoss durch den Kopf, dass die beiden wohl später eher schlecht einschlafen würden. Andererseits wollten sie vielleicht auch nicht einschlafen. Sue stand wie immer hinter der Theke, Martin, ihr Ehemann brutzelte hinten in der Küche ein Steak für Miguel. Die süße Sue schenkte dem Mexikaner ein gerade ein noch süßeres Lächeln – Martin war es gewohnt, dass sie mit Miguel jedes Mal flirtete, wenn er da war, jeder wusste, dass es nichts Ernstes war – als die Tür aufflog, als wäre ein wilder Büffel dagegen gerannt. Zwölf Männer betraten das Lokal. Miguel erkannte einige von ihnen. Sie gehörten zu Francis Dolan und kamen ohne Umschweife auf ihn zu. Auf keinen Fall wollte er sitzen, wenn sie an seinem Tisch ankamen. Martin steckte den Kopf aus der Küchentür, um nachzusehen, wer oder was so lautstark die Tür seines Lokals geöffnet hatte. „Verpiss Dich in Deine Küche, Arschloch!”, brüllte ihm einer der Schläger entgegen. Martin zog Sue in die Küche. „Was soll das?”, protestierte sie, aber Martin bedeutete ihr nur, sich nicht aufzuregen, griff zum Telefon und wählte Sheriff Carlisles Privatnummer.

Dolans Schläger gingen weiter auf Miguel zu. Grinsend packten ihn zwei der Männer am Hemd und zerrten ihn nach draußen. Der Mexikaner ließ es sich gefallen. Was auch immer geschehen mochte, er wollte nicht, dass in seiner Lieblingsbar etwas zu Bruch ging. Es reichte, wenn die Tür nicht mehr in den Angeln hing. Keiner der Männer sagte etwas. Der grobe Griff an seinem Kragen machte Miguel klar, dass diese Kerle wohl keine Lust auf Small Talk hatte. Nun, sie musste ja nicht mit ihm reden. Er gewährte den Jungs noch zehn Schritte, nachdem sie das Lokal verlassen hatten. Miguel drückte seine Daumen zwischen Daumen und Zeigefinger der Hände, die ihn so unsanft am Kragen gepackt hatten. Die Männer ließen augenblicklich los. Der mexikanische Indianer verlor keine Zeit. Er mochte unehrenhaft aus der Army entlassen worden sein, aber er war immer noch der beste Nahkämpfer in seiner Einheit gewesen. Seine Faust zertrümmerte dem Mann zu seiner Linken das Nasenbein, dann zuckte sein rechter Ellbogen kurz nach hinten und traf den anderen Schläger am Kehlkopf. Beide Männer gingen zu Boden, einer seine Nase haltend in dem verzweifelten Versuch, das Blut aufzufangen, das über sein Gesicht lief, der andere nach Luft ringend. Miguel wandte sich dem Rest zu. Dolans Männer verteilten sich. Der Mexikaner grinste. „Ihr seid verdammt mutig”, provozierte er die anderen. „Wer von Euch ist sich eigentlich sicher, dass er nicht im Krankenhaus landet?” Dolans Männer blieben stehen und versuchten abzuschätzen, was der Navajo wohl auf der Pfanne haben mochte. Sie waren immer noch zehn gegen eins in der Überzahl. Jeder der Männer wusste, dass Kate Hamiltons Vorarbeiter unterlegen war. Miguel wusste das auch. Aber er hatte nicht vor, sich billig zu verkaufen. Auch das wussten Dolans Schläger. Miguels Bluff funktionierte. Vier der Schläger, junge Burschen, die seiner Einschätzung gerade erst die zwanzig überschritten hatten, machten einen Schritt zurück und verschwanden schließlich. Die restlichen Sechs kreisten Miguel ein. „Tu Dir selbst einen Gefallen”, grunzte ein braunhaariger Kerl, der offenbar so etwas wie der Anführer des Haufens war – einer von der Sorte Kerl wie ein Baum – „und gib auf, Du dreckige Rothaut. Oder glaubst Du, Du kommst hier heil raus?” Miguels Antwort war kurz und schmerzhaft. Sein Fuß landete mit der Eleganz und Treffsicherheit eines brasilianischen Fußballspielers zwischen den Beinen des Braunhaarigen. Noch während sein Boss mit schmerzverzerrtem Gesicht zu Boden sank, spürte der Cowboy zu seiner Linken eine indianische Faust. Miguel drehte um und ging dabei in die Knie. Er blockte einen Tritt des Mannes, der eben hinter ihm stand, schnellte in die Höhe und ließ seinen rechten Handballen gegen die Brust seines Gegner und die linke Faust gegen sein Kinn krachen. Ein Knirschen begleitete den Faustschlag und Dolans Schläger lag wimmernd am Boden. Der Mexikaner machte einen schnellen Schritt nach vorne und drehte sich abermals. Zwei von Dolans Cowboys trafen sich gegenseitig. Sie wankten, blieben aber auf den Beinen. ‚Nicht mal das können die richtig‘, dachte der Mexikaner während er die Männer mit zwei schnellen Faustschlägen zu Boden schickte. Ein scharfer Schmerz durchzuckte ihn, als ihn etwas Hartes am Hinterkopf traf. Miguel fiel nach vorne. Er rollte sich auf den Rücken und wollte gerade wieder aufspringen, als er in den Lauf einer Pistole sah. Der Mann mit der Waffe hielt sich den Hals. Das Atmen fiel ihm schwer. Das Nächste und vorerst Letzte, was Miguel sah, war ein Cowboystiefel, der sich schnell auf sein Gesicht zubewegte.



Will brachte gerade das schmutzige Geschirr zur Spüle, als Kates Telefon klingelte. „Ja?”, meldete sie sich. Eine tiefe, unangenehme Stimme antwortete ihr: „Hallo Mrs. Hamilton! Hier ist jemand, der sie sprechen möchte.” Es entstand eine kurze Pause. Kate runzelte die Stirn und wartete. Dann hörte sie ihren Vorarbeiter. „Kate?”, sagte Miguel mit schwacher, schmerzverzerrter Stimme. Die Engländerin bejahte. Miguels Stimme erklang wieder: „Lassen Sie sich auf nichts …” Wieder eine Pause. „Hören Sie gut zu, Mrs. Hamilton!”, begann die unangenehme Stimme wieder. „Mein Boss hat eine Menge Geld in seine Herden investiert. Er will, dass Sie sich aus dem Rindergeschäft zurückziehen und aus New Mexico verschwinden. Anderenfalls kann niemand für die Sicherheit ihres dreckigen Indianers garantieren.” Noch bevor Kate antworten konnte, legte der Andere auf. Kates Beine gaben nach. Will fing sie auf und half ihr auf einen Stuhl. „Was ist los?” Die Frau starrte vor sich hin. Nie hätte sie gedacht, dass einer ihrer Männer, noch dazu der, den sie persönlich am meisten schätzte, ihretwegen Schaden nehmen würde. Und doch hatten Francis Dolans Männer offensichtlich Miguel Chavez in ihren Händen. „Was ist passiert?”, fragte Will erneut. Nur langsam drang seine Stimme zu Kate durch. „Sie haben Miguel”, flüsterte sie entsetzt. Schweigen senkte sich über die Wohnküche. In ihrer Ohnmacht schien es Kate, als würde die Stille Stunden anhalten. „Kate?”, hörte sie ihren jüngsten Mitarbeiten energisch rufen. „Ja?” Kate war wie betäubt. Sie war kaum zu einem Gedanken fähig. Dolans Männer konnten doch nicht … Das war doch die zivilisierte Welt, nicht der Wilde Westen! Man konnte doch nicht einfach einen Mann … Offensichtlich konnten manche Männer doch … Wieder schienen Stunden zu vergehen bis sie Will erneut hörte: „Kate, hören Sie mir zu!” Will fasste sie an den Schultern und holte Kate so ein Stück weit in die Realität zurück. „Kate? Ich habe den Sheriff angerufen. Vielmehr einen der Deputies. Der Sheriff hat mich zurückgerufen. Er kommt gleich persönlich her. Kate? Hören Sie mir zu?” Kate nickte, fast wieder im Hier und Jetzt angekommen. „Gut”, fuhr Will fort, „Sheriff Carlisle kommt her. Er meinte, er müsse nur noch am ‚Jack of Spades‘ aufräumen. Sieht so aus, als hätte Chavez dort ein bisschen Putz gemacht und ein paar von Dolans Männern ins Krankenhaus gebracht, bevor sie ihn erwischt haben. Ich habe auch Hanson und Tyler angerufen. Sie sollten gleich hier sein und werden auf Sie aufpassen, Kate. Haben Sie mich so weit verstanden?” Kate nickte. „Hanson und Tyler kommen her”, sagte sie leise, um Will zu zeigen, dass sie ihn verstanden hatte. Dann sah sie ihn an. „Wo willst Du hin?” Will sah seiner Chefin in die Augen. So mancher Freund hatte in der Vergangenheit dafür bezahlen müssen, was Will getan hatte. Es war lange her, aber er hatte es nicht vergessen. Er wollte nie wieder einen Freund im Stich lassen und Kate und Miguel waren Freunde für ihn. Will strich Kate eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich hole Chavez raus”, sagte er dann. Er ging zur Tür, nahm seinen alten Pistolengürtel von der Garderobe und verschwand im Dunkeln.

Die Trockenheit der vergangenen Wochen hatte der Gegend jede Menge Staub gebracht. Besonders Plätze, auf denen sich nicht ständig etwas bewegt, waren mit deutlichen Staubschichten überzogen. Will hielt das „Jack of Spades” für den besten Ort, um mit der Suche nach Miguel anzufangen und seine Intuition war richtig. Die Wagen des Sheriffs Department fuhren gerade ab, als Will auf dem Parkplatz ankam. An dem Parkplatz hatte sich also noch nichts verändert. Der junge Cowboy parkte seine Maschine vor dem Parkplatz und sah sich um. Außer den Spuren der Streifenwagen waren die Abdrücke breiter Reifen im Staub. Pick-up-Reifen. Sue hatte Wills Vermutung bestätigt. Sie hatten zwei große weiße Pick-ups auf dem Parkplatz gesehen. Will erinnerte sich an einen schicksalsträchtigen Blick in seinen Rückspiegel. Und diese Erinnerung führte ihn zu Dolans Haus. In der Auffahrt stand eine Limousine, sonst war kein Wagen zu sehen. Dafür lief ihm jemand über den Weg, von dem er wusste, dass er zu dämlich war, um Poker zu spielen. Joshua Allen konnte nicht bluffen. Noch wichtiger: Er fiel selbst auf jeden noch so offensichtlichen Bluff rein.

Josh Allen lief die Auffahrt zum Anwesen seines Bosses hinauf, als er hinter sich ein metallisches Klicken hörte und die Stimme eines jungen Mannes ihm erneut versprach, ihn berühmt zu machen. Josh hob die Arme und drehte sich langsam um. „Du schon wieder”, brummte er. Will lächelte vergnügt. „Ich schon wieder. Und jetzt”, bei diesen Worten verfinsterte sich seine Miene, „will ich ein paar Antworten von Dir.” Um seinen Standpunkt zu untermauern, popelte der Junge mit dem Lauf seines Revolvers ein bisschen in Allens Nase. Er hatte nicht vor, ihn zu erschießen. Aber das wusste sein Gegenüber nicht. „Wo ist Miguel Chavez?” Josh Allen schluckte und versuchte, irgendwie dieser verflixten Kanone zu entkommen. Aber wohin er auch ging, der Revolver folgte ihm. Will verlieh seiner Frage etwas Nachdruck, indem er Dolans Lieblingsschläger am Kragen packte und ihm den Lauf seiner Waffe fester auf die Nase drückte. „Wo ist Miguel Chavez?”, wiederholte er seine Frage. Allen war normalerweise ein recht harter Kerl. Nicht sonderlich hell aber das glich er durch eine gewisse Kompromisslosigkeit wieder aus. Einen Pistolenlauf im Gesicht zu haben, überforderte ihn aber. „Ich … ich weiß nicht, wovon Du sprichst, Mann”, stammelte er. William ließ deutlich durchblicken, dass ihm diese Antwort nicht ausreichte. Er verpasste Josh einen Klaps auf den Hinterkopf, lächelte und sagte: „Falsche Antwort.” Will vermutete, dass es einer etwas stärkeren Motivation bedurfte. Josh Allens Gesicht zeigte einen Hauch von Erleichterung, als die Waffe aus seinem Gesicht verschwand. Nur Sekunden später riss er die Augen weit auf, als er bemerkte, dass der junge Mann auf seinen Schritt zielte. „Ich frage mich”, sinnierte Will, „was Deine Frau wohl dazu sagt, wenn Du nicht kooperierst.” Etwas roch seltsam. Will sah nach unten und bemerkte einen Fleck auf Josh Allens Hose dort, wo der Revolver hinzeigte. „Hör zu, Mann”, sagte Josh hektisch mit sich überschlagender Stimme, „ich habe keine Ahnung, wovon Du redest. Was soll mit dieser verdammten Rothaut sein?” Will wurde ungeduldig. Er zog Josh Allen zu sich, bis sich ihre Nasen beinahe berührten, und zwang ihn, direkt in Wills Augen zu sehen. „Miguel Chavez wurde vor dem ‚Jack of Spades‘ zusammengeschlagen und entführt. Die Kellnerin hat gesehen, wie man ihn auf einen von zwei weißen Pick-ups legte. Zwei weiße Pick-ups, die ich früher am Abend von diesem Anwesen wegfahren sah.” Wills Augen verengten sich zu Schlitzen. „Also hör auf, Bullshit zu erzählen!” Josh hob beschwichtigend die Hände. Er unternahm einen letzten halbherzigen Versuch, sich von Will zu lösen, gab aber sofort auf. „Ich habe wirklich keine Ahnung, Mann”, versicherte er verzweifelt. „Aber wenn Du die Pick-ups suchst, solltest Du sie bei den Pferdeställen finden. Dolan meinte, die Jungs sollen das Paket dahin liefern. Mehr weiß ich nicht, ehrlich!” Will blickte Josh noch einen Augenblick in die Augen. Dann nickte er und ließ los. Josh sagte die Wahrheit, davon war Will überzeugt. Er steckte seinen Revolver weg und wandte sich zum Gehen. Josh Allens Gesicht zeigte Erleichterung, aber Will blieb noch stehen, als überlegte er, ob er Dolans Schläger nicht doch umlegen sollte. Dann plötzlich, es kam Josh vor, als hätte es eine Viertelstunde gedauert, bis der Junge etwas tat, obwohl es nur wenige Sekunden waren, drehte Will sich blitzschnell um und rammte ihm die Faust ins Gesicht. Josh blieb liegen, wo er wie ein Baum umgefallen war. „Das ist dafür, dass Du Chavez eine verdammte Rothaut genannt hast.”

„Bei näherem Dafürhalten”, murmelte Will, „hätte ich fragen sollen, wo die verdammten Ställe sind.” Er hatte seine Maschine am Straßenrand stehen gelassen und irrte inzwischen eine Dreiviertelstunde auf der Suche nach Francis Dolans Stallungen durch die stern- und mondlose Nacht. Er hatte eine alte Scheune gefunden, aber das brachte ihn nicht weiter. Um Reifenspuren zu suchen, war es zu dunkel und eine Taschenlampe hatte Will natürlich nicht mit. Außerdem wollte er jegliche Aufmerksamkeit, die das Licht erregen könnte, vermeiden. Will sog die Luft tief durch die Nase ein, aber es lag auch kein Pferdegeruch in der Luft. Vermutlich hatte Dolan gar keine Pferde und die Stallungen waren nur noch leere Gebäude. Dennoch musste einer der Wege dorthin führen. Das Geräusch eines Motors ließ ihn in Deckung gehen. Will grinste, als ein weißer Pick-up an ihm vorbeifuhr und keine zweihundert Yards weiter anhielt. Im Licht der Scheinwerfer entdeckte er, was bisher in der Dunkelheit verborgen war: ein großes, flaches, hölzernes Gebäude. Ein paar Augenblicke ließ er noch verstreichen, dann machte sich Will auf den Weg. Geduckt schlich er sich an der Wand des Stalls entlang. Ein Mann stand an der Tür und paffte eine Zigarette. Will machte sich so klein, wie es ihm möglich war. Irgendwie gelang es ihm, die Tür zu erreichen, ohne dass die Wache ihn bemerkte. Als er nur noch zwei, drei Schritte von der Tür entfernt war, sprang Will auf, überwand die Distanz mit zwei schnellen Schritten, packte den Mann an der Schulter und ließ seine Faust ins Gesicht des Wachmanns krachen. Der Mann sackte lautlos zu Boden. William öffnete vorsichtig die Tür und lugte in die Stallung hinein. Chavez saß auf einem Stuhl. Seine Hände waren auf dem Rücken gefesselt. Die Nase blutete, das linke Auge war dick und blau. Vier Männer saßen rum und spielten mit ihren Waffen, zwei lehnten an der Wand und dösten. Ein siebter beschäftigte sich damit, mit seinem Messer Muster in Miguels Chavez’ Haut zu ritzen. Er schnitt nicht tief, gerade genug, um den Indianer zu verletzen, ein paar Tropfen Blut auf der Haut erscheinen zu lassen. Der Messerschnitzer grinste Miguel zufrieden an. Es reichte. Will trat ein. „Besser, ihr lasst ihn gehen”, sagte er gelassen aber laut genug, um überall verstanden zu werden. Ein rothaariger Riese mit dem Gesicht eines Hängebauchschweins sah zu Will. Sein Blick fiel auf Wills alten Revolver, der noch im Holster steckte. „Bist Du gut genug oder dumm genug?”, fragte er. „Kommst hier rein und lässt Deine Kanone stecken!” Das Schweinchen sah seine Kumpane an und brummte: „Legt ihn um!” Vier Pistolen hoben sich in Wills Richtung, der Messermann ließ die Klinge sinken und griff nach hinten. Einer der Schläfer stand auf und zielte mit einer Beretta auf Will. Sechs Schüsse krachten. Sechs Männer gingen zu Boden. Der Siebte sprang auf, als hätte ihn eine Tarantel gestochen. Mit schreckensbleichem Gesicht sah er die 6 Toten am Boden liegen. „Tu das nicht, Junge”, rief Will, als der andere nach seiner Waffe griff, doch es war zu spät. Der Mann schoss. Will ließ sich gerade rechtzeitig fallen. Der Schuss ging daneben. Ein zweiter Schuss hallte durch den Stall. Ungläubig sah Dolans Schläger auf Will der eine zweite Waffe in seiner linken Hand hielt. Dann fiel er vornüber. Will sah sich kurz um, dann steckte er seine Pistolen ein. „Kannst Du laufen?”, fragte er Miguel, während er die Fesseln zerschnitt. Der Indianer nickt. Will steckte den Kopf aus der Tür. Es war ruhig. Noch war es ruhig. Er winkte Miguel zu und die beiden Männer rann-ten in die Nacht hinaus. Zehn Minuten später sahen sie in der Ferne Scheinwerfer, die sich in Rich-tung der alten Pferdeställe bewegten. Aber sie waren zu weit entfernt um entdeckt zu werden. Sie verschwanden in der Dunkelheit und das einzige, was Dolan hinterher wusste, war, dass der mexikanische Indianer irgendwie entwischen konnte.



Max Carlisle sah sich um. Francis Dolan hatte ihn gerufen, weil in seinem alten Pferdestall sieben seiner Männer ermordet wurden. „Hallelujah! Da hat jemand schlechte Laune gehabt.” Max fand sieben Männer mit einer Kugel in der Brust. Aber eben nur eine Kugel. Die Toten waren nicht durchsiebt worden. Die Szenerie sah fast nach sieben Hinrichtungen auf, wären da nicht die Waffen, die die Männer hatten. Hatten sie versucht, sich zu wehren? Aber wer sollte einfach so sieben von Francis Dolan Männer töten? Keiner von Dolans Gegnern war skrupellos genug. Außerdem würden seine Gegner wohl eher Dolan selbst ausschalten, nicht seine Angestellten. Max sah Belinda Anderson und Jimmy Dunn, die Deputys, die ihn begleiteten, an. „Seht Euch mal um, ob ihr noch irgendwelche Einschüsse findet.” Er zeigte in die Richtung, in die die Sieben geschossen haben müssten, wenn sie dazu gekommen waren, zu schießen. Die Deputys nickten und machten sich an die Suche. Max hasste solche Abende. Erst die Schlägerei und die Entführung vor dem „Jack”, dann sieben tote Männer. Und zu allem Überfluss musste Max sich auch noch mit der Made Dolan unterhalten. Missmutig ging er vor die Tür, steckte sich eine Zigarette in den Mundwinkel und schnippte sein Feuerzeug auf. „Das solltest Du Dir ansehen, Boss!”, riss ihn Belindas Stimme aus seinen Gedanken, bevor er seine Zigarette anzünden konnte. Grummelnd klappte er das Feuerzeug zu und steckte seinen Kopf durch die Tür. Belinda Anderson zeigte auf einen umgestürzten Stuhl und zerschnittene Fesseln. „Interessant”, brummte der Sheriff. „Jemand saß gefesselt auf dem Stuhl. Die Schießerei war 'ne Befreiungsaktion.” Dolans Männer hatten jemanden festgehalten. In Anbetracht der Ereignisse des früheren Abends war es nicht schwer, einen Tipp abzugeben, wer dieser Jemand gewesen war. Dolan würde eine gute Erklärung liefern müssen.



***


Lisa Haddlestone freute sich auf den Feierabend. Es war Freitag und es war ihr letzter Arbeitstag. Morgen früh würde Lisa einen Flieger besteigen und nach Hawaii fliegen. Zwar war nicht damit zu rechnen, dass es dort kühler wäre, aber wenigstens war es auf Hawaii nicht so staubig wie in New Mexico. Voller Vorfreude kippte sie den letzten Schluck Kaffee hinter und stellte die Tasse in die Teeküche. Abwaschen konnte sie später noch. Lisa schloss die Tür der Lincoln-County-Filiale der St. James & Henderson Bank auf. Kaum war sie zu ihrem Schalter zurückgekehrt, blickte Lisa in zwei stahlblaue Augen. Die Augen gehörten einem recht attraktiven jungen Mann. Lisa lächelte. William Bold lächelte zurück. „Guten Morgen … Lisa”, sagte er. „Ich fürchte, ich brauche Ihre Hilfe. Vielmehr braucht eine Freundin von mir Ihre Hilfe.”



***


„Sie sollten nach Hause fahren.” Kate sah ihren Vorarbeiter besorgt an. Miguel schüttelte den Kopf. Sein Kiefer schmerzte, er hatte ein blaues Auge und die Schnitte an seinem Körper brannten wie die Hölle. Trotzdem wollte er nicht nach Hause. „Indianer kennen keinen Schmerz”, grinste er und zuckte zusammen, als ihm jemand auf die Schulter klopfte. „Oh! 'tschuldigung!” Will hob die Hände. „Alles in Ordnung?” Miguel winkte ab. Er nahm sich eine Tasse Kaffee und sah den Jungen an. „Jag mir noch einmal so 'nen Schreck ein und ich lasse Dich nie wieder Traktor fahren.” William hob die Augenbrauen. Er setzte zu einer Entgegnung an, aber bevor Will „Ihr habt 'nen Traktor?” sagen konnte, klopfte es. Kate ging zur Tür. „Guten Morgen, Max”, grüßte sie den Sheriff. Max Carlisle tippte an seinen Hut. „Guten Morgen, Kate! Darf ich reinkommen?” Kate trat einen Schritt zur Seite. „Ist Ihr Vorarbeiter da?”, fuhr der Sheriff im Vorbeigehen fort. Als er den Blick der jungen Frau sah, beschwichtigte er sie: „Ich will ihm nur ein paar Fragen stellen. Ich hoffe, Klarheit in einen Vorfall auf Mr. Dolans Anwesen zu bringen und ich glaube, Mr. Chavez war unfreiwillig dort.” Kate wies dem Sheriff wortlos den Weg in die Küche.

„Guten Morgen, Mr. Chavez!” Sheriff Carlisle legte seinen Hut auf den Küchentisch und nickte dem Indianer zu. Er drehte den Kopf in Wills Richtung und nickte auch ihm zu. „Guten Morgen, Sheriff!”, nickte Will zurück. Miguel lehnte sich gegen den Spültisch und hob dem Sheriff grüßend die Kaffee-tasse entgegen. „Wie kann ich Ihnen helfen, Sheriff?” Max Carlisle rückte sich einen Stuhl zurecht, nahm Platz und holte einen Block aus seiner Hemdtasche. „Ich möchte Ihnen nur ein paar Fragen stellen, Mr. Chavez”, begann Max. „Über den gestrigen Abend.” Chavez brummte kurz und nickte dem Sheriff auffordernd zu. „Wir haben auf dem Dolan-Anwesen sieben tote Männer gefunden”, begann Max. „Sieben tote Männer, einen Stuhl und zerschnittene Fesseln. In Anbetracht der Vorfälle vor dem Jack of Spades vermute ich, dass Sie auf den Stuhl saßen. Ist das richtig?” Der Indianer nickte erneut und nahm einen Schluck Kaffee. „Ja, das stimmt, Sheriff.” Max Carlisle lächelte und nickte. „Dachte ich mir.” Er drückte auf seinen Kugelschreiber und schickte sich an, Notizen zu machen. „Mr. Chavez, könnten Sie mir wohl erzählen, wie es Ihnen gelangt, zu entkommen? Vielleicht sogar, wie die sieben Männer zu Tode kamen.” Miguel trank einen weiteren Schluck, sah in seine Tasse und schwieg. Dann sah er den Sheriff an. „Es ging alles sehr schnell und ich war erschöpft, Sheriff. Ich erinnere mich nicht wirklich.” Sein Blick und sein Tonfall machten klar, dass dies alles sein würde, was Miguel zum vergangenen Abend einfallen würde. Max nickte, sah auf seinen Block und dann wieder in die braunen Augen des Indianers. „Das ist schade”, erwiderte er. „Die Männer sind nicht an Altersschwäche gestorben, das ist sicher. Sie wurden … sagen wir, sie wurden mit Blei vergiftet. Ich hoffte, Sie könnten Licht ins Dunkel bringen. Nun, dann muss ich wohl selbst ermitteln”, gab der Sheriff zu bedenken. „Es wäre mir lieber, ich müsste es nicht. Eine Zeugenaussage würde meine Arbeit vereinfachen. Besonders, wenn Ihre Befreier nicht zuerst gezogen haben.” Sheriff Carlisle sah den Indianer an und lächelte ein wenig. Miguel dachte nach. Er trank einen Schluck Kaffee und schielte zu Will hinüber. Der nickte. Miguel nickte zurück. „Also gut”, begann er. „Dolans Männer haben tatsächlich zuerst gezogen. Ich habe noch nie jemanden so schnell schießen gesehen wie den jungen Will hier.” Max sah von seinem Block auf. „Moment mal!” Er richtete seinen Blick auf Will. „Dieser Junge?” William grinste. Der Sheriff war nicht der erste Mensch, der ihn derart unterschätzt hatte. Miguel nickte. „Ja, dieser Junge”, sagte er lächelnd. „Nicht einmal Clint Eastwood hat jemals so schnell gezogen. Der Anführer von Dolans Männern wies seine Leute an, Will zu töten, der zog etwas schneller. Anschließend schnitt er mich los und wir verschwanden in der Dunkelheit.” Miguel sah den Sheriff streng an. „Will hat mir den Hintern gerettet, Sir. Wenn Sie ihm daraus einen Strick drehen wollen, werde ich jedes Wort widerrufen.” Sheriff Carlisle machte noch einen Punkt auf seinen Block und klappte ihn zu. „Ich kann Dolan genauso wenig leiden wie Sie, Mr. Chavez”, sagte er im Aufstehen. Er nahm seinen Hut und sah erst Kate, dann Miguel und zuletzt Will an. „Soweit ich ermitteln konnte, hat der Junge die Männer in Notwehr erschossen. Dolan wird es schwer fallen irgendwas anderes zu behaupten, ohne Ihre Entführung zuzugeben, Mr. Chavez. Ich brauchte nur eine entsprechende Aussage.” Lächelnd setzte er seinen Hut auf. „Wünsche Ihnen allen noch einen schönen Tag.” In der Tür drehte er sich noch einmal um. „Ich wünschte, Ihre Aussage hätte Dolan an den Galgen bringen können. Also haben Sie keine Angst, meine Junge.” Er nickte Will zu und ging. Will sah abwechselnd zu Kate und Miguel. „Sollen wir Dolan unter die Nase reiben, dass der Sheriff ihn nicht mag?” Vielleicht könnte man den Bastard auf diese Weise etwas bremsen. Aber Kate wollte nichts davon wissen. „Ich will keine Konfrontation mit Dolan”, stellte sie klar. „Nicht auf diese Weise. Nicht, wenn wir nicht klar absehen können, dass es uns etwas nutzt.” Will zog die Augenbrauen nach oben und spielte unschuldig an seinen Revolvern. Kate konnte sich ein leises Lachen nicht verkneifen. „Das würde das Problem vielleicht lösen”, meinte sie lächelnd. „Aber es gibt sicher noch andere Möglichkeiten.”



„Joshua, mein Freund, Du siehst nicht gut aus.” Francis Dolans tiefe Stimme klang samtig weich und einfühlsam. So samtig weich und einfühlsam, dass Josh ein Schauer über den Rücken lief. Shir Khan aus dem Dschungelbuch hatte ein ebenso sanfte Stimme. Dolan trat auf Josh zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. Sein Gesicht zierte ein joviales Lächeln. Ein Lächeln, das Dolans Augen nicht teilten. Wieder fühlte sich Josh an einen Zeichentricktiger erinnert, der schnurrend seine Beute umkreiste. „Mir geht es ganz gut”, antwortete Dolans Vorarbeiter. „Das heißt, wenn man von der gebrochenen Nase absieht. Aber zumindest lebe ich noch.” Das Wörtchen noch hatte einen seltsamen Klang in Joshs Ohren, ganz so, als hätte er sich gerade selbst bedroht. Trotz des versöhnlichen Auftretens seines Bosses wusste er, dass Dolan alles andere als zufrieden mit der Gesamtsituation war. Dolan hob das Kinn seines Vorarbeiters an und betrachtete dessen Nase. „Du sagst, der Junge war das?” Josh nickte und tastete unwillkürlich seine Nase ab. Die Schnelligkeit, mit der der Junge zugeschlagen hatte, war ihm immer noch nicht geheuer. Andererseits hatte Josh den Streit vor dem Diner vor ein paar Tage noch gut im Gedächtnis. Er hätte es kommen sehen müssen. Dolan ging langsam zum Fenster. „Vielleicht”, dachte er laut, „habe ich die Sache falsch angefangen. Ich hätte diesen Junge engagieren sollen.” Francis Dolan drehte sich und sah Josh an. „Was meinst Du, Josh?” Der Vorarbeiter schüttelte den Kopf. Der Junge hatte sich immer schützend vor diesen verdammten Indianer gestellt. Aus irgendeinem Grund war er der Rothaut gegenüber von Anfang an bedingungslos loyal gewesen. „Der Bengel scheint einen Narren an diesem Chavez gefressen zu haben, Boss”, antwortete Josh schließlich. „Er hat ihn nach dem Pokerspiel neulich raus geboxt, tauchte bei der Hamilton auf, als wir ihr Druck gemacht haben, und gestern hat er unsere Männer umgelegt und den dreckigen Mexikaner rausgeholt. Und die Nase hat er mir gebrochen, weil ich Chavez eine verdammte Rothaut genannt habe.” Josh schüttelte noch einmal den Kopf. „Nein, Boss, diesen Will hätten Sie nie gekriegt.” Dolan nickte bedächtig. Dieser Will fühlte sich Chavez wohl persönlich verbunden. Eine Minute verging, während Dolan nachdachte. Schließlich blickte er auf. „Ich denke”, sagte der Rinderbaron zum Schluss mit seiner sanftesten Shir-Khan-Stimme, „ich weiß, wie ich die Engländerin aus dem Geschäft bekomme.”



New Mexicos Sonne macht keine halben Sachen. Wenn sie Hitze und Trockenheit bringt, dann tut sie es richtig. Wenn New Mexicos Sonne Hitze, Staub und Trockenheit bringt, verbrennt sie einem noch am Abend die Haut. Miguel zog seinen Hut ins Gesicht um die Abendsonne von seinen Augen fernzuhalten. Ein kleines Schläfchen zu halten erschien ihm im Augenblick am sinnvoller als alles andere, zumal ihm die Ereignisse der letzten Nacht nicht viel Schlaf gegönnt hatten, Miguel hatte eine Vorahnung. „Was glaubst Du, was Dolan als nächstes macht?” Miguel brummte kurz. Der junge Will schien auch unter Vorahnungen zu leiden. Der Indianer hob den Hut. „Keine Ahnung.” Er sah den Jungen an, der ihm inzwischen zweimal die Haut gerettet hatte. Miguel hoffte, dass er sich dafür irgendwann revanchieren konnte. Er blieb nur ungern jemandem etwas schuldig. „Auf jeden Fall bin ich froh, dass Du bei Kate bist. Hab so ein Gefühl, als könnte sie einen Aufpasser gebrauchen.” Das Brummen eines Motors mischte sich leise in die Stille und Will drehte den Kopf in die Richtung, aus der das Geräusch kam. In der Ferne zog ein einsamer Wagen vorbei. Nichts, was Gefahr bedeutete. Der Junge nickte und öffnete die Tür zu Kates Haus. Zumindest versuchte er es. Als er jedoch beim Drehen des Türknaufs nach vorne ging, stieß er sich erst einmal die Nase. „Verschlossen?”, fragte Chavez. Will nickte. „Macht nichts, ich habe 'nen Schlüssel.” Er griff in seine Hosentasche. Der Indianer berührte ihn an der Hand. „Ja”, meinte er, „ich auch. Und ich habe ein seltsames Gefühl.” Der Junge lachte leise und schüttelte den Kopf. „Ihr Indianer und eure Visionen!” Er dachte kurz nach und nickte schließlich. „Hab gute Erfahrungen damit gemacht. Geh hinten rum. Ich nehme mir noch 'ne Minute Zeit.” Will wartete einen Augenblick und schloss auf. Er bemühte sich nicht besonders darum, leise sein. Im Gegenteil, er lief betont laut. Wenn Chavez‘ Gefühl richtig war und jemand im Haus wartete, sollte er sich auf Will konzentrieren. Wenn Chavez‘ Gefühl richtig war, wollte Will jedoch auch nicht überrascht werden. Deshalb war das Erste, das in einen jeden Raum ging Wills Revolver, was ihn nicht davor bewahrte, einen Gewehrlauf an seinem Kopf zu spüren, als er die dunkle Küche betrat. „Du bist schnell und leise, Miguel”, lobte der junge Cowboy Chavez. „Ich nehme dann mal an, Du hast nichts gefunden.” Das Gewehr verschwand und das Licht ging an. Der mexikanische Indianer lehnte sein Gewehr über die Schulter. „Hast Glück gehabt. Ich wusste, dass Du’s bist.” Miguel trat einen Schritt zur Seite und ließ Will in die Küche. „Mein Gefühl hat mich wohl getäuscht. Ist keiner hier außer uns.” Will ging zum Kühlschrank, nahm sich eine Flasche Bier und hielt dem Mexikaner ebenfalls eine Flasche hin. Die Männer setzten sich schweigend an den Esstisch. Will stellte seine Flasche auf den Tisch und drehte sie gedankenversunken hin und her. Kate war nicht zuhause und sie hatten keine Ahnung, wo sie sein könnte. Dolan war es zuzutrauen, dass er sich auch an einer Frau vergriff. „Würdest Du Deinen Laptop anlassen, wenn Du ausgehst?”, hörte er Miguel fragen. Will schüttelte den Kopf. „Ich würde das Ding nicht mal auf dem Küchentisch stehen lassen.” Will hielt inne und hob den Kopf. Miguel nickte. „Kate auch nicht. Warum steht das Ding also hier und läuft?” Der Bildschirm zeigte eine E-Mail. Jemand hatte Kate Informationen versprochen. Kate sollte in die Stadt kommen und sich mit dem Unbekannten an einer dunklen Ecke treffen. Miguel sah auf die Uhr, dann sah er Will an. Beide Männer sprangen auf und rannten aus dem Haus.



„Ist hier jemand?” Kate starrte in das Zwielicht einer kleinen Gasse. „Hallo?” Niemand antwortete. Vorsichtig trat die Engländerin in das Dämmerlicht. Sie sollte hier jemanden treffen, der Francis Dolan nahe stand. Jemand mit Insider-Informationen, die dieser mit Kate teilen wollte. Kate kannte keinen Namen, aber in der E-Mail, die sie erhalten hatte, stand, sie solle genau jetzt an genau diesem Ort sein. „Hallo?”, rief sie den Schatten noch einmal zu. Niemand antwortete. Kate ging ein paar Schritte weiter, darauf achtend, dass sie schnell die Hauptstraße erreichen konnte, wenn es nötig war. Die Stille bedrückte Kate etwas, ließ sie gleichzeitig aufmerksamer werden. Eine leichte Brise wehte durch die Gasse. Der Wind brachte keine frische Luft mit sich. Wie ein Hochleistungsfön schien er nur noch mehr Hitze zu bringen. Ein letztes Mal rief Kate in die Gasse hinein. Die Antwort war nur das Rascheln alten Papiers im Wind. Niemand war da. Offenbar sollte alles nur dazu dienen, die junge Frau irgendwie von ihrer Ranch wegzulocken. Kate runzelte die Stirn, zuckte mit den Schultern, wandte sich zum Gehen und blieb abrupt stehen, als sie Füße hinter einem Müllcontainer sah. Vorsichtig und so leise, wie es ihr mit ihren Stiefeln möglich war, näherte sich Kate dem Container. Die Engländerin drückte sich in den Schatten des Müllcontainers. Einer Intuition folgend griff sie hinter sich und zauberte ein 9mm-Pistole aus dem Hosenbund. Kate schloss die Augen, zählte bis drei und trat schließlich die Pistole vor sich haltend am Müllaufbewahrungsbehälter vorbei, um zu sehen, wem die Füße wohl gehörten. Der Anblick, der sich ihr bot ließ Kates Atem einen Moment stocken. Blutüberströmt lag Joshua Allen auf dem Boden. Zwei Löcher zierten seine Brust. „Mein Gott, womit hast Du armer Hund das verdient?” Kate hockte sich neben den Toten und berührte die Wunden. Ihr Verstand schrie ihr zu, sie solle rennen, das Weite suchen, auf der Stelle verschwinden. Ihr Entsetzen aber ließ sie ungläubig neben Josh Allens Leichnam hocken und das Blut an ihrem Finger betrachten, bis schließlich Schritte, die durch die Gasse hallten, Kate aus ihrer Lethargie rissen. Hände legten sich auf ihre Schultern. Kate drehte sich erschrocken um. „Whoa! Hey, langsam!” Will hob die Hände, als er in die Mündung von Kates Waffe blickte. Vorsichtig griff er nach der Pistole und nahm sie Kate aus der Hand. „Alles in Ordnung?” Kate nickte, griff nach Wills Hand und zog sich hoch. Ihr Blick fiel noch einmal auf den toten Josh, dann lief sie langsam zu ihrem Wagen zurück. „Miguel?”, fragte sie knapp. Will zeigte zum Ende der Gasse. „Wartet da vorne.” Der Indianer stand mit dem Rücken zur Gasse und behielt die Straße im Blick. Sein altes Gewehr lehnte mit dem Lauf über seiner Schulter. Hinter ihm löste sich eine Gestalt aus den Schatten. „Chavez!”, rief Will, aber es war zu spät. Ein scharfer Schmerz durchzuckte Miguel, als ihn etwas im Genick traf. Kate und Will rannten in Richtung Straße. Ein Motor heulte auf, Reifen quietschten. Als Kate und Will an der Straße ankamen, sahen sie nur noch zwei Rücklichter. Die Viehzüchterin nickte dem Jungen zu und Will sprang auf seine Maschine. Kate wandte sich dem am Boden liegenden Miguel zu. „Warum immer ich?”, stöhnte der Indianer, als er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht aufrappelte. Kate half ihm auf. Einen Augenblick schwankte Miguel, dann putzte er sich den Staub von der Kleidung. „Wo ist Will?”, wollte er schließlich wissen. „Und was zur Hölle ist hier eigentlich passiert?” Kate fasste die Ereignisse kurz zusammen – die E-Mail, das Auffinden von Josh Allens Leiche und die Gestalt aus den Schatten. Miguel hörte einfach zu und nickte hin und wieder zum Zeichen, dass er so weit mitkam. „Hmmm …”, brummte er schließlich. „Sehen wir zu, dass wir nachhause kommen.” Der Indianer hob sein Gewehr auf und machte sich auf den Weg zu seinem Wagen. Kate starrte ihm hinterher, einen Augenblick lang unfähig zu reagieren. In der Gasse lag eine Leiche, jemand hatte ihren Vorarbeiter niedergeschlagen und eben jener Vorarbeiter wollte einfach nachhause fahren. „Wir …”, begann sie, „wir können doch nicht einfach abhauen!” Miguel drehte sich. „Verdammt, da liegt 'n Toter!”, fuhr Kate fort. „Jemand schlägt Dich nieder und Du willst einfach so gehen?” Miguel senkte den Kopf, rieb sich den schmerzenden Nacken und entgegnete: „Die ganze Sache war eine Falle, Kate. Wenn Sie das nicht sehen, sind sie blind. Jemand hat Josh Allen, den Chef-Schläger des Mannes, den man als Ihren Erzfeind bezeichnen könnte getötet. Anschließend hat man Sie hierher gelockt. Brauchen Sie 'nen Rechenschieber, um zwei und zwei zu addieren? Wir rufen den Sheriff an und verschwinden. Das ist das cleverste, was wir jetzt tun können.” Kates Vorarbeiter legte das Gewehr in seinen Wagen und wandte sich erneut seiner Chefin zu. „Bei einer Tasse Kaffee können wir in Ruhe nachdenken, wie es weitergeht. Außerdem ist es sinnlos, zu planen, solange wir nichts von Will hören.” Kate öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Schließlich nickte sie und ging zu ihrem Pick-up.

Will wartete vor dem Büro des Sheriffs. Die vergangenen vier Stunden hatte er damit verbracht einen schwarzen Mustang zu beschatten. ‚Wenigstens‘, dachte er, ‚hat der Mistkerl Stil.‘ Der Mistkerl mit dem Mustang war zu einer alten Farm gefahren, die ungefähr anderthalb Stunden vom Stadtrand entfernt war. Er stieg aus, ging ins Haus, kam eine dreiviertel Stunde später mit einem großen Umschlag wieder raus und fuhr wieder zurück in die Stadt. Jemandem im Dunklen zu folgen ohne im Rückspiegel aufzutauchen, ist anstrengen. Aber hier stand Will nun und wartete seit fünfzehn Minuten darauf, dass der Mistkerl mit Stil das Büro des Sheriffs wieder verließ. Endlich öffnete sich die Tür. Will richtete sich auf seiner Maschine auf, um dem Mustang wieder zu folgen, überlegte es sich aber anders. Es würde nicht schwer fallen, den schwarzen Mustang und seinen Besitzer wiederzufinden, wenn es sein musste. Um herauszufinden, was in dem Umschlag war, war Subtilität besser. Der stilvolle Mistkerl stieg in seinen Wagen und das Röhren des V8-Motors verklang schließlich in der Dunkelheit. Zeit, einen Mord zu melden. Will warf seine Maschine an und fuhr direkt vor die Tür des Sheriffs. Nachdem er sich einen Augenblick gesammelt hatte öffnete Will die Tür. „Officer!”, rief er aufgeregt. „Officer, ich habe etwas schreckliches entdeckt!” Belinda Anderson blickte auf. „Deputy”, berichtigte sie den Jungen. Belinda lächelte und wartete, dass ihr Gegenüber fortfuhr. „Nun?”, fragte sie schließlich, „Was haben Sie denn entdeckt, das so schrecklich ist?” Will schüttelte kurz den Kopf. „Verzeihung! Ich … ich bin nur so durcheinander.” Will holte noch einmal Luft. „Ich … ich habe eine Leiche gefunden. In der Stadt in …” Belinda unterbrach ihn. „In einer kleinen Gasse in der Stadt?” Will malte sich tiefes Erstaunen aufs Gesicht. „Ja, woher …” Der Deputy hob einen Stapel Fotos in die Höhe. Will warf einen Blick auf die Bilder und sah Kate, die über Josh Allens Leiche hockte. „Wir wissen sogar schon, wer es war”, erklärte Deputy Anderson. „Ich bin nur ein kleiner Hilfssheriff. Sheriff Carlisle wird morgen entscheiden, was zu tun ist. Aber wenn eine Freundin von mir in der Scheiße stecken würde, würde ich sie warnen.” Jetzt blickte Will wirklich erstaunt. „Ich weiß, wer Sie sind, junger Mann”, grinste Belinda. „Würde Sie gerne mal schießen sehen.”

Kate klappte ihr Handy zu. „Der Typ, der Dich niedergeschlagen hat”, informierte sie Miguel, „hat mich mit Allens Leiche fotografiert.” Miguel fluchte und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Die Affäre fing an, ihm gehörig auf die Nerven zu gehen. Entführt zu werden ist eine Sache. Auf offener Straße niedergeschlagen zu werden eine andere. Dass es jetzt so aussah, als würde seine Arbeitgeberin in den Knast wandern, machte ihn richtig sauer. „Dahinter steckt Dolan.” Der Indianer war sich vollkommen sicher. Kate goss ihm noch einen Kaffee ein. „Bleiben Sie ruhig, mein Freund. Kommt Zeit, kommt Rat. Unser junger Freund will den Fotografen ein wenig befragen. Und er hat eine Idee, wie er meine Unschuld beweisen kann. Sagt er.” Miguel hob die Augenbrauen. „Wie?” Die Engländerin schüttelte den Kopf. „Hat er nicht gesagt. Er meinte aber, die Trockenheit mache ihm Sorgen. Er hat Recht, glaube ich. Lange ist das nicht gut für das Vieh.” Chavez schüttelte lächelnd den Kopf. Dieser Junge schien sich tatsächlich mehr um die Rinder zu sorgen als um die Menschen. „Hat er 'nen Vorschlag?” Kate lachte. „Ja”, meinte sie und biss sich kurz auf den Handknöchel. „Sie sollen einen Regentanz tanzen.” „Mumpitz!” brummte der Indianer. „Vom Tanzen kommt kein Regen.” Er nahm einen Schluck Kaffee und lächelte schließlich auch. „Wie kommt der Junge auf so 'ne Idee?”



Floyd Harvey Gallagher saß in der Küche als es an der Tür klopfte. Floyd blickte von seinem Hambur-ger auf. „Shit!” Den Burger in der Hand schlurfte er zur Tür und öffnete. Sein Blick traf die Mündung eines Revolvers. „Hallo, mein Freund!”, begrüßte eine jugendliche Stimme Floyd. „Was dagegen, wenn wir uns unterhalten?” Floyd Harvey nickte und ging zurück in die Küche. „Willst Du 'nen Kaffee? Hab‘ mich schon gefragt, wann Du auftauchen würdest. Deine Maschine ist zu auffällig, als dass ich sie übersehen würde, Junge.” Will folgte dem Mann in die Küche. Er sah nur ein paar dreckige Kaffeetasse, einen Mülleimer voll Hamburgerpapier, eine Kamera und einen Laptop. Nichts, was eine Bedrohung wäre, sofern der andere nicht vorhatte, Will den Rechner um die Ohren zu hauen. Der Mann mit der Kamera gab sich außerdem kooperativ, sodass Will keinen Grund sah, ihn weiter mit seiner Waffe in Schach zu halten. Nach einem weiteren Blick auf die Kaffeetassen lehnte er schließlich den angebotenen Kaffee höflich ab. Stattdessen griff er nach der Whiskeyflasche an der Spüle und nahm einen tiefen Schluck. „Also gut”, fragte Floyd nach einem Augenblick, „was willst Du wissen?” Will antwortete nicht gleich. Er wollte Floyd erst besser kennenlernen, ihn ein wenig studieren. Etwas in Floyds Augen interessierte ihn. In ihnen lag etwas wie Schuld, als hätte der Fotograf etwas getan, das er zutiefst bereute. Und Will sah etwas im Blick des Mannes, das ihn an jemanden erinnerte. „Mein Name”, ergriff Floyd schließlich die Initiative, „ist Floyd Harvey Gallagher. Ich bin Fotograf. Auftragsfotograf. Ich habe Kate Hamilton in Francis Dolans Auftrag fotografiert und diese Fotos an die örtlichen Polizeibehörden lanciert. Er will der Frau etwas anhängen. Und natürlich werde ich das auch vor Gericht aussagen, wenn es nötig ist.” Will nahm noch einen Schluck aus der Whiskeyflasche. „Warum diese Offenheit, Mr. Gallagher? Sie hätten einfach die Klappe halten und verschwinden können? Warum sind Sie dort geblieben, wo ich sie finden kann?” Floyd kaute auf dem letzten Bissen des Hamburgers, nahm einen Schluck Kaffee aus einer schmutzigen Tasse und sagte schließlich, er schulde es jemandem. „Vor langer Zeit habe ich jemandem Unrecht getan. Es wird Zeit, die Schuld zu begleichen. Ich heiße nicht wirklich Gallagher. Ich benutze den Namen nur. Vielleicht verstündest Du meine Schuld, wenn Du meinen wahren Namen kennen würdest.” Will nickte. Er glaube noch immer, die Augen des Mannes zu kennen, aber er kam nicht dahinter, wo er sie gesehen haben könnte. Schließlich stellte er die Whiskeyflasche auf den Küchentisch und nickte. „Was immer das für eine Schuld sein mag, Mr. Gallagher, seien Sie morgen auf Mrs. Hamiltons Ranch. Schätze der Sheriff wird hinfahren, um sie zu verhaften. Aber Sheriff Carlisle ist ein guter und ehrlicher Mann. Wenn Sie für Kate aussagen, wird er sie vom Haken lassen.” Will ging zur Haustür, öffnete sie und drehte sich noch einmal zu Floyd um. „Der Sheriff versucht offenbar schon lange, etwas gegen Dolan in die Hand zu be-kommen. Vielleicht können Sie Ihre Schuld auf diese Weise begleichen.”



***


Miguel Chavez lehnte sich auf sein Gewehr und genoss die Morgensonne, als sich ein Tross aus Polizeiwagen dem Anwesen näherte. Sheriff Carlisle hielt vor dem Haus. „Ist Mrs. Hamilton im Haus?”, fragte er. Miguel öffnete die Augen. „Ja”, antwortete er ruhig. Max Carlisle nickte und ging auf das Haus zu. Der Indianer stellte sich in die Tür. „Bitte machen sie Platz, Mr. Chavez!” Miguel schüttelte den Kopf und blieb, wo er war. „Nein”, sagte er kurz. Dann fiel sein Blick auf eine Limousine, die sich dem Haus näherte. „Mrs. Hamilton ist unschuldig, Sheriff.” Miguel zeigt auf die Limousine. „Verhaften Sie diesen Drecksack dort.” Max‘ Blick folgte Miguels Finger. Als er den weißen Wagen sah, der das Haus inzwischen fast erreicht hatte, schüttelte er den Kopf. „Verdammte Scheiße!”, murmelte er. „Was will der denn hier?” Der Indianer lachte kurz. „Ist Ihnen schon mal aufgefallen, Sheriff”, fragte er, „dass die Bösen immer die Farbe der Unschuld für sich in Anspruch nehmen?” Max dachte kurz nach und lachte dann auch. „Stimmt.” Der Sheriff drehte sich wieder zu Miguel zurück. „Trotzdem muss ich Mrs. Hamilton festnehmen. Bitte, Mr. Chavez, machen Sie sich und Ihrer Arbeitgeberin nicht mehr Probleme, als notwendig.” Miguel blieb stur in der Tür stehen. „Sie ist nicht meine Arbeitgeberin, Sheriff. Wir sind Freunde. Und Freundschaft, Sheriff”, Miguels Stimme wurde etwas bestimmter, „ist mir sehr wichtig.” Max sah kurz nach unten, bevor einen letzten Versuch wagte. „Mr. Chavez …” Miguel ließ in nicht ausreden. Er hob sein Gewehr. „Miguel!”, fuhr Max fort, „Wir haben Beweise! Jemand hat uns Fotos gebracht. Fotos auf denen Mrs. Hamilton bei der Leiche Josh Allens zu sehen ist. Wenn Sie mir keine besseren Beweise für ihre Unschuld liefern können, muss ich sie jetzt mitnehmen.” Miguel sah in das grinsende Gesicht Francis Dolans, der inzwischen aus seiner Limousine geklettert war. „Glauben Sie es Sheriff?”, fragte er leise. „Glauben Sie, dass Kate Josh Allen umgebracht hat?” Francis Dolan trat zu den beiden Männern und sah von einem zum anderen. Der Indianer dachte für einen Augenblick, es sei wohl gut, dass Dolan zwei Ohren hat. Anderenfalls würden sich seine Mundwinkel wohl am Hinterkopf treffen. „Ich bin nur hier”, begann Dolan ohne Umschweife und ohne darauf zu achten, dass die beiden anderen Männer sich unterhielten, „um sicherzugehen, dass hier der Gerechtigkeit Vorschub geleistet wird.” Ein Gewehrlauf unterbrach ihn. „Sheriff …”, sagte Dolan. „Das ist Privatbesitz”, unterbrach ihn der Indianer. „Sie sind unbefugt hier. Verschwinden Sie. Und Sie, Sheriff”, wandte er sich leise wieder an Max, „geben uns bitte einfach Zeit. Wir brauchen nur ein bisschen Zeit, dann können wir Kates Unschuld beweisen.”

Kate kam aus dem Haus. „Es ist gut Miguel. Hab ein bisschen Vertrauen in Will. Er wird Beweise für meine Unschuld liefern.” Sie streckte dem Sheriff ihre Hände entgegen. „Ich will keine Eskalation.” Lautes Lachen erschallte. Francis Dolan schob Miguels Gewehr zur Seite. „Keine Eskalation!”, rief er. „Hört nur, wie schön sich die Dame ausdrückt.” Kate suchte den Horizont nach einem Zeichen ab, dass Will endlich käme. Nichts. Sie musste weiter Zeit schinden. Kate dachte nach. „Es hat keinen Sinn, wenn wir uns hier aufreiben. Ich weiß”, sagte die Engländerin an Dolan gewandt, „was Sie vorhaben. Sie können mich nicht kaufen und auf diese Weise als Konkurrentin loswerden. Aber wenn ich hinter Gittern sitze, gibt es keine Konkurrenz für Sie in dem Fast-Food-Deal. Richtig?” Dolan nickte grinsend. Max Carlisle legte Kate Handschellen und wollte sie zum Wagen führen. „Moment noch!”, unterbrach die Frau. „Sie können im Gefängnis auch keinen Vertrag unterzeichnen, Dolan! Sheriff, ich möchte gegen Mr. Dolan Anzeige wegen Hausfriedensbruchs erstatten. Wenn Sie ihn verhaften würden …” Stille legte sich über die Hamilton-Ranch. Max nickte und ein Deputy ging auf Dolan zu. „Sie wollen sich doch nicht dem Willen einer Mörderin beugen?”, rief der Viehbaron aufgebracht. „Diese Frau hat meinen Vorarbeiter ermordet! Sie haben die Beweisfotos! Verhaften Sie sie, Sheriff und lassen Sie unbescholtene Bürger wie mich in Ruhe!” Zwei Cowboys stiegen aus der Limousine und schickten sich an, ihrem Boss zu Hilfe zu eilen. Miguel hob sein Gewehr und richtete es auf Dolans Männer. Die Cowboys hielten Pistolen in ihren Händen und zielten auf Miguel und Kate. Sheriff Carlisle und seine Deputies zogen ihre Waffen und zielten auch die Cowboys und Miguel.

Will zielte mit zwei Revolvern auf die Cowboys. „Juhu! Ich mache euch berühmt!”

Achtzehn Augen richteten sich auf den Jungen. Er schien aus dem Nichts aufgetaucht zu sein. Nie-mand hatte ihn bemerkt, niemand hatte das Motorrad gehört, das hinter Francis Dolan Wagen stand. Niemand hatte irgendetwas bemerkt. „Ich schlage vor”, warf Will in die Runde, „wir nehmen jetzt alle unsere Waffen runter und unterhalten uns wie Gentlemen. Oh, und wie eine Lady natürlich.” Er lächelte Kate an. „Bitte”, fügte er hinzu. „Es gibt keinen Grund für Gewalt und ich habe schon zu viel davon gesehen.” Dolan nickte seinen Männern zu. Er war sich seiner Sache ohnehin sicher. Was sollte passieren. Miguel richtete den Gewehrlauf gen Himmel und die Gesetzeshüter steckten ihre Waffen ein. Wills Revolver verschwanden schneller in ihren Holstern, als ihnen die Augen der Anwesenden folgen konnten. „Gut”, begann der Junge lächelnd. „Kate hat Josh Allen nicht getötet und ich kann es beweisen.” Wieder sahen alle anderen ihn an. Der Sheriff nickte. „Schießen Sie los, mein Junge.” Will griff in seine Hemdtasche, zog eine Zigarettenschachtel raus und steckte sich einen Glimmstengel in den Mund. Langsam schritt er auf Dolan zu. „Finden Sie nicht auch, Sheriff”, fragte er zwischen zwei Zügen, „dass bei Allens Leiche ein bisschen zu wenig Blut war? Ich meine, wenn Kate ihn getötet hätte, hätte man Josh Allen in einer Blutlache finden müssen, oder?” Max nickt erneut. Es stimmte. Am Fundort der Leiche war quasi überhaupt kein Blut zu gewesen. „Gut. Wir können also davon ausgehen, dass die Leiche dort platziert wurde. Bleibt die Frage” – Wills Blick wurde eisig, als er bei diesen Worten Dolan ansah – „wer Allen dort abgelegt hat.” Der Junge nahm einen Zug von seiner Zigarette, ging zu seinem Motorrad und holte einen Umschlag aus der Satteltasche. „Sie haben einen Fehler gemacht, Mr. Dolan. Gegenüber der Gasse ist ein Geldautomat. Und seine Überwachungskamera zeigt Sie mit Allens Leiche.” Er hielt den Umschlag hoch und gab ihn dann dem Sheriff. Max öffnete das Kuvert. Noch ehe er einen Blick hineinwerfen konnte erklang Francis Dolans Stimme: „Keiner rührt sich!” Dolan stand hinter Kate und hielt ihr eine Pistole an den Kopf. Wills Hand zuckte zu seinem Revolver. „So gut bist Du nicht, Du Klugscheißer!”, brüllte Dolan ihm entgegen. Will nickte. Er war gut mit dem Schießeisen. So ziemlich niemand konnte es mit ihm aufnehmen. Aber das Risiko, Kate zu treffen, war zu groß. Will hob die Hände. Dolan richtete seine Waffe auf ihn. „Das war’s für Dich, Klugscheißer! Schade, Du hättest für mich arbeiten sollen.” Will lächelte und schüttelte den Kopf. „Ich hätte nie für Sie gearbeitet, Dolan. Für Sie nicht und für niemanden sonst aus Ihrer Familie.” Dolan hob die Waffe und spannte den Hahn. Ein Schuss hallte durch die entstandene Stille.

Floyd Harvey Gallagher kam mit ruhigen Schritten auf den Menschenhaufen zu. Er hielt einen antiken Revolver in der Hand, ähnlich den Waffen, die Will sein Eigen nannte. Er trat kurz gegen den Körper des am Boden liegenden Francis Dolan. Dolan regte sich nicht. Floyd nickte und steckte seine Waffe ein. Er sah Will an, lächelte und sagte: „Du hattest Recht, mein Junge. Meine Schuld ist beglichen. Glaube ich.” Dann ging ebenso ruhig, wie er gekommen war, zu seinem Wagen. Acht Zylinder röhrten, Staub wirbelte auf und der schwarze Mustang verschwand. Woher der Wagen gekommen war wusste niemand. Will sah dem Wagen hinterher. Nach einem Augenblick schlich sich etwas wie Erinnerung in sein Denken und er murmelte: „Pat?”



Kate betrat ihre Küche. Sie hatte einen anstrengenden aber erfolgreichen Tag hinter sich. Nachdem sich Max die Überwachungsfotos des Geldautomaten angesehen hatte, nahm er ihr die Handschellen ab. Sie traf sich mit den Vertretern einer großen Fast-Food-Kette und unterschrieb einen Liefervertrag für Rindfleisch. Jetzt wollte sie etwas essen und ein Bad nehmen. Als sie auf den Küchentisch sah, änderte sie ihre Pläne. Auf der karierten Tischdecke lagen zwei alte Revolver und ein Brief:

Liebe Kate, Chavez, mein Freund,

es tut mir leid, dass ich euch nicht von Anfang an die ganze Wahrheit sagen konnte. Aber ich will es nunmehr nachholen.

Unser Treffen im Jack of Spades, Chavez, war kein Zufall. Alles, was in den letzten Tagen geschah, war kein Zufall, soweit es mich betrifft. Ich war aus einem einzigen Grund hier: Ich hatte eine alte Rechnung zu begleichen.

Ihr werdet mir vielleicht nicht glauben, wenn ich euch von dieser Rechnung erzähle. Ihr werdet den-ken, dass ihr mich nicht kannten und ich keine Rechnung bei euch offen habe konnte. Nun, die Rech-nung ist viel älter, als ihr denkt. Erinnerst Du Dich an meinen Urururgroßvater, Chavez? Der, der mit einem Jose Chavez geritten war? Jose war Dein Ahne und es war nicht mein Urururgroßvater, der mit ihm ritt sondern ich selbst.

Chavez und ich standen damals in John Tunstalls Diensten. Der John Tunstall, dessen Ranch Sie jetzt geerbt haben, Kate. Ich konnte John damals keine Gerechtigkeit wiederfahren lassen. Ich konnte nicht verhindern, dass man ihn umbrachte. Jetzt, da ich Sie in Sicherheit weiß, kann ich nachhause gehen. Ich möchte, dass Sie meine Pistolen nehmen, Kate. Ich brauche sie nicht mehr.

Lebt wohl, meine Freunde!

Ergebenst -

William Bold alias Henry McCarty

P.S. Du solltest Dich immer an Dein Volk und Deine Abstammung erinnern, Chavez.




Kate sah von dem Brief auf. Ihr Blick fiel durch das Fenster auf Chavez‘ Gestalt auf einer Anhöhe ein paar hundert Meter vom Haus entfernt. Chavez tanzte. Kate wollte zu ihm gehen. Als sie auf die Veranda traf, traf sie etwas Nasses am Kopf. Sie sah nach oben und ein Regentropfen fiel ihr ins Gesicht.


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